von Thomas Jonigk
Inszenierung: Szabó K. István
Petra wird seit Jahren von ihrem Vater Erwin misshandelt, und ihre Mutter Karin sieht dabei weg. Magda vergewaltigt ihren Sohn Paul, doch niemand hört seine Hilfeschreie. Das Schicksal, das die beiden Kinder teilen, führt sie zusammen, und gemeinsam versuchen sie mehr oder weniger erfolgreich, den Missbrauch durch ihre Eltern zu stoppen. Sie angesichts der Unaussprechlichkeit ihres Vergehens zur Rede zu stellen, ist erst nach vielen Ansätzen möglich. In "Täter" schreibt Thomas Jonigk über eines der meistdiskutierten Themen der letzten Jahre. Anhand der Geschichten von Petra und Paul und ihrer Versuche, ihren Peinigern, den eigenen Eltern zu entkommen, zeigt Jonigk, dass unsere Gesellschaft eine Gesellschaft von Tätern ist.
"Visuell wird die Aufführung sehr gut vom Bühnenbild der Cristina Milea
unterstützt. Eine weiße Wand, auf der Schlüsselworte stehen – Mutter,
Vater, ich, ein paar Miniaturhäuser, viele Eisenbahnschienen. Es sind
die Eisenbahnschienen, auf denen der minderjährige Paul Selbstmord
begehen wird. Aber auch dieselben Schienen, die den Zuschauer in
Gedanken an die unendlich vielen Lebenswege erinnern, die offenstehen.
Lautlich erfreut sich die Aufführung der "Täter" der Bühnenmusik, die
Ovidiu Iloc eigens dafür komponiert hat, eine Musik, deren Hauptthema
den aufmerksamen Zuschauer hinweist auf eine boîte à musique, die du in
der Kindheit irgendwann mal gehört hast. Aber die Hauptstärke der
Aufführung liegt – wie sich das übrigens auch so gehört – im Spiel der
Schauspieler. Szabó K. István hat in seiner Unternehmung sich an etwas
erfreuen dürfen, was man ohne Übertreibung "Idealbesetzung" nennen darf.
Für die Rollen der beiden Kinder (Petra und Paul) standen ihm Silvia
Török (wieder einmal sehr gut, nuanciert, ohne Exzesse) und Richard
Hladik zur Verfügung, dem die Chance eines verdienstvollen Debüts
gegeben war. Für Erwin, dem im Bösen gealterten Vater, stellt Rareş
Hontzu den standfesten Interpreten, während Olga Török (Karin) einmal
mehr ausgezeichnet ihre Kompositionsrolle meistert. Enikő Blénessy
(Magda) und Daniela Török (Frau Doktor), vervollständigt mit Radu Vulpe
(Karl), zeichnen drei aufschlussreiche Porträts von Pädophilen, die mit
abstrusen Argumentationen, Hypokrisie, offensichtlicher Falschheit und
schokoladeverschmierter Süßlichkeit ihre schuldvollen Triebe zu
vertuschen suchen."
"Schriftsteller Thomas Jonigk übernimmt eine Serie realer Situationen und Personen und erschafft in seinem Text, Täter,
eine Familien-Hölle in der Petra und Paul, die zwei Jugendlichen in den
Hauptrollen, zerdrückt werden; ihre einzige Rettung – physische,
psychische, moralische – bleibt das Fortrennen. Szabó K. Istváns
Aufführung hat als Resistenzpunkt die ausgewogene Besetzung – gut
ausgewählt aus einem Ensemble, das wiederum sorgfältig entlang der Zeit
entfaltet wurde – und das suggestive Bühnenbild, wirksam für die
Realität der bestehenden Situationen in der Dramaturgie der Aufführung.
[...] Seit einigen Spielzeiten zeichnet sich bei den Inszenierungen des
Deutschen Staatstheaters eine klare Richtung ab, angepasst an der
erstrebten Zielgruppe; durch den vorgeschlagenen Aufführungen werden die
Zuschauer aufgefordert alltägliche Wirklichkeiten, aus der näheren oder
ferneren Vergangenheit, Lebenshandlungen, die Gegenwart, zu bedenken."