Regie: Victor Ioan Frunză
Zum Stück
Eugène Ionesco
verhöhnt im Stück Die Stühle den Traum eines Hausmeister-Ehepaars von
Wohlstand und Erhabenheit, das mit dem Glauben lebt, es habe der Welt
eine große Botschaft mitzuteilen. Das Kleinbürgerehepaar bildet sich
voller Enthusiasmus ein, bedeutende und bekannte Persönlichkeiten des
Staates und der Weltgeschichte bei sich zu empfangen. In Wirklichkeit
ist das leere Zimmer gefüllt mit Stühlen, die sie für jeden einzelnen
Gast hereingetragen haben. Die Stühle rücken immer mehr auf sie zu. Im
Gegensatz zum reinen Dialogtheater nehmen die Figuren marionettenhafte
Züge an. Marionetten sprechen, sie bewegen sich und sind in dieser
karikierten Form wahrer als die Realität selbst, mit der Bestimmung,
den Zuschauer auf einer Entdeckungsreise besonderer Wahrheiten zu
begleiten.
Über das Stück Die Stühle schrieb Jean Anouilh 1956 in Le Figaro: "Ich
glaube, das Stück ist besser als Strindberg, weil es einen "schwarzen
Humor" à la Molière hat, auf eine manchmal irre komische Art, weil es
entsetzlich, drollig, ergreifend, immer wahr ist und weil es klassisch
ist."
Zur Entstehung des Stückes
Die
Stühle, am 22. April 1952 am Théâtre du Nouveau Lancry in Paris unter
der Spielleitung von Sylvain Dhomme uraufgeführt, ist das vierte
bedeutende Stück Ionescos, nach Die kahle Sängerin (1949), Jakob oder
Der Gehorsam (1950) und Die Unterrichtsstunde (1950). Zu seinem Stück
Die Stühle notierte Ionesco: "Das heutige Theater ist fast nur
psychologisch, sozial, logisch oder... poetisch. Es ist metaphysisch.
Die Stühle ist ein Versuch, die Grenzen der gegenwärtigen Dramatik zu
überschreiten. Die Welt kommt mir ab und zu sinnlos vor, und die
Wirklichkeit unwirklich. Gerade dieses Gefühl der Unwirklichkeit, der
Suche nach einer lebenswichtigen, vergessenen, ungenannten Wirklichkeit
- außerhalb derer ich mein eigenes Sein nicht spüre - wollte ich
mittels meiner Gestalten übermitteln. Diese meine Gestalten leben
ziellos dahin und besitzen nichts als ihre Ängste, ihre Gewissensnot,
ihre Verluste und die Leere ihres Lebens. Wesen, die sich in ihrer
sinnlosen Existenz verlieren, können nur grotesk sein, ihr Leid kann
nur ein kleinlich tragisches sein. Da die Welt für mich unverständlich
ist, sehne ich mich danach, dass sie sich mir entblößt..." DER
SPIELLEITER VICTOR IOAN FRUNZĂ Seit seinem Studienabschluss an der
Bukarester Theater- und Filmhochschule 1981 hat Frunză über 70
Theater-, Oper- und Fernsehproduktionen inszeniert. Er wurde von
erstrangigen Bühnen des In- und Auslandes verpflichtet. Von 1990 bis
1993 war er Intendant des Nationaltheaters Klausenburg, und bis 1994
unterrichtete er an der Musikuniversität (Lehrstuhl für Opernregie) und
an der Theaterhochchule (Regielehrstuhl) in Neumarkt. Er ist Mitglied
des Senats des Rumänischen Theaterverbandes (UNITER).
Aus seinen zahlreichen Inszenierungen erwähnen wir: Der
Kirschgarten von A. P. Tschechow, (Nationaltheater Budapest) * Don
Juan, von Molière (Schauspielhaus Galatz) * Ghetto, von Joshua Sobol
(Nationaltheater Bukarest) * Falstaff und Ein Sommernachtstraum, von
William Shakespeare (Ungarisches Staatstheater Klausenburg) *
Satyricon, nach Petronius und Der Kreuzzug der Kinder, von Lucian Blaga
(Nationaltheater Neumarkt) * Mutter Courage und ihre Kinder, von
Bertolt Brecht (Deutsches Staatstheater Temeswar) * Lorenzaccio, von
Alfred de Musset, Strategie eines Schweins und Enfantillages, von
Raymond Cousse, Die Unterrichtsstunde, von Eugène Ionesco, Hamlet, von
William Shakespeare und Die Geschichte des Kommunismus nacherzählt für
Geisteskranke, von Matei Vişniec (Ungarisches
Csiky-Gergely-Staatstheater Temeswar) * Host mich noch lieb, von Bebe
Bercovici (Jüdisches Staatstheater Bukarest) * Trupa pe butoaie
(UNITER) - das erste Wandertheaterprojekt in Rumänien * Tom Paine, von
Paul Foster (Theatrhochschule Neumarkt) * Der König stirbt, von Eugène
Ionesco (Theatrum Mundi, Bukarest) * Das Geschenk der Gorgo, von Peter
Shaffer (Rumänische Erstaufführung am Tony-Bulandra-Theater Târgovişte)
u.a. Er erhielt 19 bedeutende Preise im In- und Ausland, so den
Regiepreis des Rumänischen Theaterverbandes (UNITER), den UNITER-Preis
für die beste Inszenierung, den Preis für die beste Inszenierung und
zwei Regiepreise am Landestheaterfestival in Bukarest, den
Kritikerpreis seitens der Rumänischen Sektion des Weltverbandes der
Theaterkritiker; seitens des Ungarischen Kritikerverbandes erhielt er
eine Nominierung für die beste Inszenierung im ungarischen Kulturraum.
Er wurde mit dem Verdienstorden "Stern Rumäniens" im Rittergrad
ausgezeichnet.
Die Bühnen- und Kostümbildnerin Adriana Grand
Sie absolvierte die Hochschule für Bildende Künste in Klausenburg 1983.
Sie betätigte sich als Grafikerin, Werbedesignerin, Bühnen- und
Kostümbildnerin für Theater, Film und Fernsehen. Von 1990 bis 1992
übernahm sie die grafische Gestaltung des Fachmagazins Teatrul azi, und
seit 1986 zeichnet sie für die Einbandgestaltung von
Buchveröffentlichungen in Verlagen wie Kriterion, Albatros, Unitext,
Dacia.
Als Bühnen- und Kostümbildnerin hat sie u.a. bei folgenden
Inszenierungen gewirkt: Das Wasser, von Dumitru Solomon (Staatstheater
Großwardein) * Don Juan, von Molière, und Turandot, von Carlo Gozzi
(Schauspielhaus Galatz) * Marat-Sade, von Peter Weiss, und Falstaff,
nach William Shakespeare (Nationaltheater Klausenburg) * Satyricon,
nach Petronius (Nationaltheater Târgu-Mureş) * Der Kirschgarten, von A.
P. Tschechow (Nationaltheater Budapest) * Ghetto, von Joshua Sobol
(Nationaltheater Bukarest) * Was ihr wollt, von William Shakespeare
(Ungarisches Staatstheater Klausenburg) * Mutter Courage und ihre
Kinder, von Bertolt Brecht (Deutsches Staatstheater Temeswar) *
Lorenzaccio, von Alfred de Musset, Strategie eines Schweins und
Enfantillages, von Raymond Cousse, Die Unterrichtsstunde, von Eugène
Ionesco, Hamlet, von William Shakespeare, und Die Geschichte des
Kommunismus nacherzählt für Geisteskranke, von Matei Vişniec
(Ungarisches Csiky-Gergely-Staatstheater Temeswar) * Der König stirbt,
von Eugène Ionesco (Theatrum Mundi Bukarest) * Das Geschenk der Gorgo,
von Peter Shaffer (Rumänische Erstaufführung am Tony-Bulandra-Theater
Târgovişte) u.a.
Sie erhielt zwölf der bedeutendsten Ausstattungspreise, so den Preis
des Rumänischen Theaterverbandes (UNITER) für die beste Ausstattung
(1990, 1994 und 2002), den Preis für die beste Ausstattung beim
Landestheaterfestival "Ion Luca Caragiale" Bukarest (1993), den Preis
des Weltverbandes der Theaterkritiker (1995 und 2003) u.a. Sie wurde
mit dem Kulturverdienstorden im Rittergrad ausgezeichnet.
Der Pianist und Theaterkomponist Cári Tibor
Der
1979 geborene Musiker Cári Tibor hat 2002 die Temeswarer
Musikhochschule absolviert. Von 1999 bis 2002 wurde er von der
Temeswarer Staatsoper für die Inszenierung "Faust" und vom Ungarischen
Csiky-Gergely-Staatstheater Temeswar als Gast verpflichtet. Von 2002
bis 2004 war er hauseigener Pianist, Bühnenkomponist und musikalischer
Leiter des ungarischen Theaters. Im Zeitraum 2001-2004 komponiert er
die Musik u.a. zu folgenden Inszenierungen: Die Unterrichtsstunde, von
Eugène Ionesco, Hamlet, von William Shakespeare, Die Geschichte des
Kommunismus nacherzählt für Geisteskranke, von Matei Vişniec
(Ungarisches Csiky-Gergely-Staatstheater Temeswar) * Turandot, von
Carlo Gozzi, und Das Geschenk der Gorgo, von Peter Shaffer
(Tony-Bulandra-Theater Târgovişte) * König Cymbelin, von William
Shakespeare (Deutsches Staatstheater Temeswar) * Rotkäppchen, von den
Brüdern Grimm, und Die Geiß mit den drei Geißlein, von Ion Creangă
(Marionettentheater Arad). Er arbeitete mit bedeutenden Spielleitern
zusammen, so mit Victor Ioan Frunză und Alexander Hausvater. Beim
Festival der Ungarischen Diaspora-Theater in Kisvárda wurde Cári 2002
mit dem Preis des Ungarischen Kulturministeriums für die Musik zum
Stück Die Unterrichtsstunde, von Eugène Ionesco, ausgezeichnet.
"In
der Inszenierung der Einsamkeit des menschlichen Daseins lässt Victor
Ioan Frunză alles Überflüssige weg - auf der Bühne wird exemplarisch
das Schicksal zweier Menschen, dem alten Ehepaar, dargestellt. Mit
Akribie und besonderer Liebe durchleuchtet der Spielleiter den
Ionesco-Text und setzt ihn in Parallellwelten mit vielfachen
Koexistenzen um. Frunză verleiht dem Stück etwas Ritualhaftes,
Archaisches - mit sparsamem Einsatz der Mittel schafft er eine
ausdruckstarke Atmosphäre. Ein Quadrat mit einer Aufteilung in kleine
Quadrate beherrscht die breite, fast leere Bühne. (...)
Die Triade der Rollenträger beweist erneut die gute Wahl des
Spielleiters, der mit Ildikó Jarcsek-Zamfirescu, Boris Gaza und Balázs
Attila die geeigneten Künstler gefunden hat, denen es gelingt die
Ionesco-Welt der vielfachen Koexistenzen in Szene zu setzen. Semiramis
brilliert in der Darstellung Ildikó Jarcsek-Zamfirescus, die sich mit
Geist und Körper in die Rolle begibt, Gefühlwelten der Extreme
durchlebt und einen phantastischen jugendlichen Rhythmus im
Stühle-Aufstellen-Reigen aufweist. Ihre kraftvoll-sensible Darbietung
nuanciert eine Fülle von emotional geladenen Szenen, die im Einakter
kleine Höhepunkte markieren. Die minutiös ausgearbeitete Gestik, die
tief empfundenen Gefühle, das Wechselspiel zwischen Zuneigung und
Abneigung bieten ein komplettes Bild der gealterten Frau, die stets in
ihren Erinnerungen lebt. Die verdiente Künstlerin bezeugt erneut eine
außerordentliche Beherrschung ihrers Talents und Könnens, des
ausdrucksvollen Schau-Spiels, das sie phantasievoll darbietet. (...)
Boris Gaza ist die angenehme Überrraschung in seiner Entwicklung als
Schauspieler, der im Zusammenspiel der Meister - Zamfirescu und Frunză
- sein Schauspieler-Sein auf seinen Forschungsreisen im theatralen Raum
stets erweitert. Seine Bühnenpräsenz ist viel versprechend - er steigt
selbstsicher in die Rolle des Alten ein und es gelingt ihm ein
überzeugendes Spiel als Hausmeister. (...) Der Redner - meisterhaft von
Balázs Attila interpretiert (...)
Eine komplexe Vorstellung, eine bis ins kleinste Detail durchdachte
Theaterproduktion..."
"Victor Ioan Frunză, der gerade dabei ist, ein "Eugen-Ionescu-Projekt" aufzubauen, zu dem bereits denkwürdige Aufführungen wie Der König stirbt (Theatrum Mundi) und Die Lektion (Csiky Gergely Staatstheater, Timișoara) gehörten, liest die Beziehung des Paares in Die Stühle (Deutsches Staatstheater Temeswar) in einer Tonart, die die Perspektiven sichtbar verändert. Semiramida (gespielt von Ildiko Jarcsek-Zamfirescu) ist von einem starken Mutterinstinkt beseelt, und der Alters- und Körperbauunterschied zum Marschall des Hauses (Boris Gaza) dürfte diese Vermutung noch verstärken. Es ist die glaubwürdigste Form der Verbundenheit, die durch Gesten in derselben Sphäre ausgedrückt wird, von Liebkosungen und Berührungen bis zum zärtlichen Schaukeln des männlichen Kindes auf seinem Knie, das nicht mehr albern, sondern natürlich erscheint. Dieses Zünglein an der Waage kann auch ein Ungleichgewicht schaffen, denn der Zerfall des Wesens und das Abgleiten auf den letzten Weg haben für einen jungen Mann einen anderen Wert, aber in der heutigen Welt ? auf die stark Bezug genommen wird, indem man ein Fahrzeug zum Tod" einführt, einen Aufzug, an dem der Marschall eine Videokamera anbringt? ist das Gleichgewicht längst aus den Fugen geraten, so dass die Diskrepanz verblasst.
Der bewegendste Moment der Aufführung ist zweifellos der, in dem Stühle aller Art auf die Bühne kommen, einer nach dem anderen, und durch die Art und Weise, wie sie personalisiert sind, eine warme Menschlichkeit hervorrufen, deren Vielfalt der wertvollste Reichtum der Welt ist, in der wir leben. Einfache Holzstühle, farbig oder ungefärbt, große Stühle und kleine Stühle, aber vor allem Stühle, die dank der sorgfältigen und phantasievollen Intervention der Bühnenbildnerin Adriana Grand, die dasselbe für Gepetto, den Vater der Holzpuppe, getan hat, eine Seele bekommen zu haben scheinen. Einige der Beine wurden durch Schaufensterpuppen ersetzt und scheinen zu hinken, andere sind sogar mit Schuhen beschlagen, an einem Stuhl sind nicht nur die Pantoffeln einer alten Dame befestigt, sondern auch eine Brille und ein aufgeschlagenes Buch, auf der Rückenlehne eines anderen liegt ein Hochzeitsfoto des Paares und ein Rest eines Brautschleiers, auf den Armlehnen eines Stuhls liegt eine Computertastatur, auf den Armlehnen eines anderen ein kleiner Tisch mit einem Glas darauf und einem Aschenbecher, auf dem eine frisch angezündete Zigarette raucht. Und die Stühle treten weiter in die Szene ein und werden zu eigenständigen Figuren: ein Trompeter, der den Noten auf dem Notenblatt folgt, ein Fakir, in dem überall Nadeln stecken, eine üppige Frau mit nacktem Oberkörper, ein Betrunkener, der Limonade trägt, ein Faulpelz, der auf dem Toilettensitz liegt, ein bandagierter Kranker, der seine Infusionen hinter sich herzieht, ein Chef, der mit den Knöpfen am Sesselgriff die ganze Welt verändert, ein kleines Mädchen, das rülpst, ein Fotograf, der seine auf Film festgehaltenen Erinnerungen mit sich trägt, usw.
Die Menge der Sitze klebt an der des Publikums, und das Finale bricht über alle herein, als der Redner (Balazs Attila) die Bühne betritt, der das Fehlen einer wirklichen Botschaft unter einer Lawine kompetenter und selbstbewusster vorbereitender Gesten verbirgt, die an das Arsenal der heutigen "Manager" erinnern. Der Aufzug, der die imaginären Gäste hereinbrachte, bringt die beiden von der Bühne, ebenso wie den Redner, der, wie auf dem Monitor zu sehen ist, auf dem die Aufnahmen der Videokamera erscheinen, im Wasser versinkt, das seine Worte verschluckt und sie mörderisch gegen ihn wendet."